DJ-Alltag: Eine Nachtschicht für 50 Euro
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf derStandard.at.
DJs genießen den Ruf, einer besonders coolen Tätigkeit nachzugehen. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus
Der DJ, das bewunderte Wesen. Er spielt Tracks, die ihm gefallen, und das Publikum liebt ihn dafür. Mit ein wenig Übung mausert man sich recht schnell zum gefragten Act – die Belohnung sind dann riesige Gagen und ewiger Ruhm. Für eine handvoll DJs weltweit – Stichwort David Guetta, Tiesto, Armin van Buuren oder Deadmau5 – mag das so funktionieren (derStandard.at berichtete über ihre absurd hohen Gagen), für das “DJ-Fußvolk” ist das Dasein als Selektor und Entertainer aber ein viel härteres als man glauben mag.
Zwischen Hobby und Beruf
“In Österreich können geschätzt zehn Prozent der DJs vom Auflegen leben”, meint Laminat, seit rund zehn Jahren selbst DJ und Produzent in Wien. Dabei sind aber bekannte Artists wie etwa Kruder und Dorfmeister bereits ausgenommen. Weil die Gagen oft so gering sind, schlagen sich die meisten gezwungenermaßen irgendwie durch und haben einen oder mehrere Brotjobs um ihr Leben finanzieren zu können. “Um es auch international zu schaffen, muss man auch selbst Tracks produzieren, nur viel aufzulegen ist da zu wenig”, so der Wiener. Der Rest legt schon mal eine Nachtschicht ein, und das für eine Gage von circa 50 bis 250 Euro.
Die alles andere als gesundheitsförderlichen Bedingungen kennt jeder, der schon einmal um die Häuser gezogen ist: verrauchte Luft trotz Rauchverbots, Lautstärken, die so manchen HNO-Arzt erschaudern lassen, nerviges Publikum, das sich Songs wünscht, die man nicht spielen will. Dazu kommen immer wieder Veranstalter, die sich nicht an Abmachungen halten wollen.
Preisdumping durch Konkurrenz und Veranstalter
“Es ist schon ein Wahnsinn, wie manche Clubbesitzer einen über den Tisch ziehen wollen”, schildert Sophia Hoffmann, DJ, Journalistin und Köchin. Die Österreicherin lebt mittlerweile in Berlin, wo sie in Sachen Konkurrenzkampf und Gagen noch schlimmere Bedingungen herrschen als hierzulande: “DJs gibt es wie Sand am Meer, und einige sind sogar froh, wenn sie gratis spielen können, weil sie meinen, dass ihnen das etwas bringt. Man ist einfach austauschbar und sogar in Clubs, wo man öfter spielt, und man glaubt, eine Heimat gefunden zu haben, kann es sein, dass man von einen Tag auf den anderen nicht mehr gebucht wird, weil es Nachwuchs gibt, der es noch billiger macht.”
Die Veranstalter profitieren davon, dass sich die DJs untereinander die Preise zerstören. Bisweilen kommt es auch vor, dass trotz vorab fixierter Gagen dann doch nicht gezahlt wird. “Ungefähr alle zwei Jahre kommen ein paar neue Artists, die quasi gratis auflegen. Am Anfang kann das ja recht nett sein, aber nach ein paar Jahren merkt man, dass sie entweder wieder verschwinden oder bei dem Spiel nicht mehr mitmachen und auch adäquate Gagen verlangen”, bestätigt Laminat. 150 Euro für drei Stunden Spaß an der Musik klingen für Außenstehende vielleicht ganz gut, die wenigsten denken aber an das Rundherum. Wenn man Steuern, Taxigeld, Anreisezeit, die Vorbereitungszeit für einen Auftritt und die zahlreichen Stunden, die man im Club vor und nach dem Auftritt anwesend sein muss, mitzählt, schrumpft der Stundenlohn recht schnell. So ganz nebenbei soll der Künstler dann auch noch über seine Netzwerke die Veranstaltung bewerben und vielleicht noch am Flyer mitbasteln – Aufgaben, die seinerzeit ganz klar und ausschließlich beim Veranstalter lagen.
Keine Rechtssicherheit
Um also vom Auflegen leben zu können, brauchen DJs viele Bookings. Falls diese bei genug Ambitionen und Verbindungen möglich sind, stehen sie meist vor dem nächsten Problem: Zwar hat schon fast jede mittelgroße Bar regelmäßig jemanden dort, der Musik auflegt, die wenigsten schließen jedoch Verträge ab. Krankenstände werden somit etwa schnell zum Problem: “Einmal hab’ ich mich mit 38 Grad Fieber in den Club geschleppt, um dann vor circa 300 Leuten mit Schweißausbrüchen und zitternden Händen mein Set runterzuspielen. Dann gab’s 70 Euro. Der Veranstalter war an dem Abend nicht mal da. 43 Euro sind fürs Taxi draufgegangen, weil ich, krank wie ich war, natürlich hin- und retour gefahren bin. Da hab ich mich gefragt: Wozu mach’ ich das eigentlich?” schreibt uns ein Wiener Artist, der anonym bleiben möchte, per Mail.
Zu wenig Verständnis seitens Veranstaltern und Publikum
Dass DJs oft nur als Dekoration gesehen werden, die eben in eine moderne Bar gehören, merken die Acts oft auch am Zustand des technischen Equipments vor Ort. Funky P, Resident DJ für das Message Magazin, der mit seiner Crew Frisch Saftig Stylisch bevorzugt Hip Hop und Funk auflegt, muss für andere Gigs oft neben den ohnehin schon schweren Platten sein eigenes Mischpult mitnehmen: “Den Veranstaltern fehlt oft das Verständnis dafür, was wir machen. Wir kommen manchmal in Bars, wo alte Technik vor Ort ist, mit der man zum Beispiel nicht einmal scratchen kann. Also können wir dort eigentlich unseren Job gar nicht machen. Das ist schon hart.” In kleineren Locations müssen sich außerdem ein bis zwei DJs die ganze Nachtschicht aufteilen, was sehr an die Substanz gehen kann. Die Gage ist dadurch nicht größer.
Was die künstlerische Selbstverwirklichung bei DJs angeht, gibt es verschiedene Universen: Wo in größeren Clubs die meisten das Glück haben, ihr Programm selbst zu gestalten, mutiert der DJ in Bars und Restaurants oft zur menschlichen Juke-Box, die Wünsche erfüllen muss. Zum Problem wird das nur, wenn die Erwartungshaltung zwischen Publikum und DJ auseinandergehen: “Es kann schon vorkommen, dass die Leute sich Tracks wünschen, die ich nur mit schwerer Überwindung spielen kann. Gerade im Hip Hop liegen Welten zwischen Underground und Mainstream. Das kann schon sehr mühsam sein, ist aber oft Teil des Jobs”, erzählt Funky P. Wenn dann auch der Rest wie Gage oder Technik nicht passt, kann so eine Auflegenacht von der erwarteten lässigen Party zur mehr als mühsamen Arbeit werden.
Nicht nur Jammern
Dass so viele sich dennoch das DJing “antun”, liegt einfach daran, dass der DJ in den meisten Fällen für die Musik brennt und seine Lieblingstracks mit dem Publikum teilen will. “In vielen Fällen sind das ja auch positive Erlebnisse, die man an so einem Abend hat”, sagt Sophia Hoffmann, die unter ihrem Künstlernamen Tigeress DJ weiß, wie man feiert. Die Grenze zur Selbstausbeutung wird wie in vielen Kreativberufen dementsprechend häufig überschritten. (Lisa Stadler, derStandard.at, 18.4.2013)