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Dieser Artikel erschien ursprünglich auf derStandard.at.

DJs genießen den Ruf, einer besonders coolen Tätigkeit nachzugehen. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus

Der DJ, das bewunderte Wesen. Er spielt Tracks, die ihm gefallen, und das Publikum liebt ihn dafür. Mit ein wenig Übung mausert man sich recht schnell zum gefragten Act – die Belohnung sind dann riesige Gagen und ewiger Ruhm. Für eine handvoll DJs weltweit – Stichwort David Guetta, Tiesto, Armin van Buuren oder Deadmau5 – mag das so funktionieren (derStandard.at berichtete über ihre absurd hohen Gagen), für das “DJ-Fußvolk” ist das Dasein als Selektor und Entertainer aber ein viel härteres als man glauben mag.

Zwischen Hobby und Beruf

“In Österreich können geschätzt zehn Prozent der DJs vom Auflegen leben”, meint Laminat, seit rund zehn Jahren selbst DJ und Produzent in Wien. Dabei sind aber bekannte Artists wie etwa Kruder und Dorfmeister bereits ausgenommen. Weil die Gagen oft so gering sind, schlagen sich die meisten gezwungenermaßen irgendwie durch und haben einen oder mehrere Brotjobs um ihr Leben finanzieren zu können. “Um es auch international zu schaffen, muss man auch selbst Tracks produzieren, nur viel aufzulegen ist da zu wenig”, so der Wiener. Der Rest legt schon mal eine Nachtschicht ein, und das für eine Gage von circa 50 bis 250 Euro.

Die alles andere als gesundheitsförderlichen Bedingungen kennt jeder, der schon einmal um die Häuser gezogen ist: verrauchte Luft trotz Rauchverbots, Lautstärken, die so manchen HNO-Arzt erschaudern lassen, nerviges Publikum, das sich Songs wünscht, die man nicht spielen will. Dazu kommen immer wieder Veranstalter, die sich nicht an Abmachungen halten wollen.

Preisdumping durch Konkurrenz und Veranstalter

“Es ist schon ein Wahnsinn, wie manche Clubbesitzer einen über den Tisch ziehen wollen”, schildert Sophia Hoffmann, DJ, Journalistin und Köchin. Die Österreicherin lebt mittlerweile in Berlin, wo sie in Sachen Konkurrenzkampf und Gagen noch schlimmere Bedingungen herrschen als hierzulande: “DJs gibt es wie Sand am Meer, und einige sind sogar froh, wenn sie gratis spielen können, weil sie meinen, dass ihnen das etwas bringt. Man ist einfach austauschbar und sogar in Clubs, wo man öfter spielt, und man glaubt, eine Heimat gefunden zu haben, kann es sein, dass man von einen Tag auf den anderen nicht mehr gebucht wird, weil es Nachwuchs gibt, der es noch billiger macht.”

Die Veranstalter profitieren davon, dass sich die DJs untereinander die Preise zerstören. Bisweilen kommt es auch vor, dass trotz vorab fixierter Gagen dann doch nicht gezahlt wird. “Ungefähr alle zwei Jahre kommen ein paar neue Artists, die quasi gratis auflegen. Am Anfang kann das ja recht nett sein, aber nach ein paar Jahren merkt man, dass sie entweder wieder verschwinden oder bei dem Spiel nicht mehr mitmachen und auch adäquate Gagen verlangen”, bestätigt Laminat. 150 Euro für drei Stunden Spaß an der Musik klingen für Außenstehende vielleicht ganz gut, die wenigsten denken aber an das Rundherum. Wenn man Steuern, Taxigeld, Anreisezeit, die Vorbereitungszeit für einen Auftritt und die zahlreichen Stunden, die man im Club vor und nach dem Auftritt anwesend sein muss, mitzählt, schrumpft der Stundenlohn recht schnell. So ganz nebenbei soll der Künstler dann auch noch über seine Netzwerke die Veranstaltung bewerben und vielleicht noch am Flyer mitbasteln – Aufgaben, die seinerzeit ganz klar und ausschließlich beim Veranstalter lagen.

Keine Rechtssicherheit

Um also vom Auflegen leben zu können, brauchen DJs viele Bookings. Falls diese bei genug Ambitionen und Verbindungen möglich sind, stehen sie meist vor dem nächsten Problem: Zwar hat schon fast jede mittelgroße Bar regelmäßig jemanden dort, der Musik auflegt, die wenigsten schließen jedoch Verträge ab. Krankenstände werden somit etwa schnell zum Problem: “Einmal hab’ ich mich mit 38 Grad Fieber in den Club geschleppt, um dann vor circa 300 Leuten mit Schweißausbrüchen und zitternden Händen mein Set runterzuspielen. Dann gab’s 70 Euro. Der Veranstalter war an dem Abend nicht mal da. 43 Euro sind fürs Taxi draufgegangen, weil ich, krank wie ich war, natürlich hin- und retour gefahren bin. Da hab ich mich gefragt: Wozu mach’ ich das eigentlich?” schreibt uns ein Wiener Artist, der anonym bleiben möchte, per Mail.

Zu wenig Verständnis seitens Veranstaltern und Publikum

Dass DJs oft nur als Dekoration gesehen werden, die eben in eine moderne Bar gehören, merken die Acts oft auch am Zustand des technischen Equipments vor Ort. Funky P, Resident DJ für das Message Magazin, der mit seiner Crew Frisch Saftig Stylisch bevorzugt Hip Hop und Funk auflegt, muss für andere Gigs oft neben den ohnehin schon schweren Platten sein eigenes Mischpult mitnehmen: “Den Veranstaltern fehlt oft das Verständnis dafür, was wir machen. Wir kommen manchmal in Bars, wo alte Technik vor Ort ist, mit der man zum Beispiel nicht einmal scratchen kann. Also können wir dort eigentlich unseren Job gar nicht machen. Das ist schon hart.” In kleineren Locations müssen sich außerdem ein bis zwei DJs die ganze Nachtschicht aufteilen, was sehr an die Substanz gehen kann. Die Gage ist dadurch nicht größer.

Was die künstlerische Selbstverwirklichung bei DJs angeht, gibt es verschiedene Universen: Wo in größeren Clubs die meisten das Glück haben, ihr Programm selbst zu gestalten, mutiert der DJ in Bars und Restaurants oft zur menschlichen Juke-Box, die Wünsche erfüllen muss. Zum Problem wird das nur, wenn die Erwartungshaltung zwischen Publikum und DJ auseinandergehen: “Es kann schon vorkommen, dass die Leute sich Tracks wünschen, die ich nur mit schwerer Überwindung spielen kann. Gerade im Hip Hop liegen Welten zwischen Underground und Mainstream. Das kann schon sehr mühsam sein, ist aber oft Teil des Jobs”, erzählt Funky P. Wenn dann auch der Rest wie Gage oder Technik nicht passt, kann so eine Auflegenacht von der erwarteten lässigen Party zur mehr als mühsamen Arbeit werden.

Nicht nur Jammern

Dass so viele sich dennoch das DJing “antun”, liegt einfach daran, dass der DJ in den meisten Fällen für die Musik brennt und seine Lieblingstracks mit dem Publikum teilen will. “In vielen Fällen sind das ja auch positive Erlebnisse, die man an so einem Abend hat”, sagt Sophia Hoffmann, die unter ihrem Künstlernamen Tigeress DJ weiß, wie man feiert. Die Grenze zur Selbstausbeutung wird wie in vielen Kreativberufen dementsprechend häufig überschritten. (Lisa Stadler, derStandard.at, 18.4.2013)

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  • April 19, 2013

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf derStandard.at.

Der amerikanische Markt entdeckt die elektronische Musik. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Clubs und Festivals in Europa

Ricardo Urgell, Betreiber des wohl berühmtesten Clubs Europas, des Pacha in Ibiza, hat es vor einiger Zeit gereicht: Weil die DJs immer höhere Gagen verlangten, kündigte er kurzerhand seinen Programmchef und verlängerte die Verträge einiger Superstars einfach nicht mehr. Die Folge war eine Grundsatzdiskussion über die hohen Gagen mancher Größen der elektronischen Musik, zuletzt berichtete auch die “New York Times” ausführlich über die Probleme auf Ibiza.

Amerika ist “schuld”

Wie kam es überhaupt dazu, dass ein DJ wie David Guetta für einen Auftritt zuweilen 250.000 Euro Gage bekommt und Forderungen von 50.000 Euro auch von mittelbekannten Artists keinen Veranstalter mehr überraschen? “Diese Entwicklung hat hauptsächlich in den letzten zwei Jahren ihren Lauf genommen, und das liegt daran, dass Amerika jetzt elektronische Musik für sich entdeckt”, sagt Stefan Auer, seit Jahrzehnten als Veranstalter in Graz tätig und Organisator des Springfestivals.

Jahrzehntelang galt Europa als Heimat und Brennpunkt elektronischer Musik: Hier wurden DJs in Clubs gefeiert, die unbekannte Tracks auflegten, noch lange bevor das irgendjemanden in den USA interessierte. Nicht zuletzt wegen Änderungen der Rechtssituation für US-Radiosender bekamen in letzter Zeit auch in den USA vermehrt europäische und in der Folge amerikanische Elektronik-Artists Airtime. Und das Publikum sprang auf den Zug auf.

Las Vegas ist das neue Ibiza

Binnen weniger Monate entstanden in den USA nach europäischem Vorbild riesige Festivals, die die DJs abfeierten. Tiësto, einer der weltweit am besten verdienenden DJs, macht nun erstmals seit Jahren keinen Stopp mehr in Ibiza. Ihn zieht es nach Las Vegas, das als neues Ibiza gehandelt wird. “Man merkt, dass dort Entertainment noch etwas wert ist.”, sagt Christian Lakatos, Organisator des Urban Art Forms Festivals, der gerade aus Las Vegas zurückgekehrt ist. “Ticketpreise von bis zu 150 Dollar schrecken dort niemanden ab. Hier jammern alle schon bei 15 Euro Eintritt.” Das liege daran, dass dort eine andere Entertainment Kultur herrsche, wo man es gewohnt sei zum Beispiel auch für College Football Games Eintritt zu zahlen. In den USA habe die Entertainment Kultur einen anderen Stellenwert und die Leute seien es gewohnt, hohe Eintrittspreise zu zahlen, meint Lakatos weiter.

Spektakel statt Musik

Riesige Clubs nehmen in Las Vegas große DJ-Namen unter Vertrag, das Penthouse für die Artists befindet sich gleich ein paar Stockwerke über dem Club, und die Gagen sind so hoch, dass selbst hartgesottenen Brancheninsidern schwindlig wird. Künstler wie Deadmau5 entscheiden sich dementsprechend wenig überraschend dafür, mehr Gigs in den USA zu spielen. “In Las Vegas sind die DJs die neuen Varieté-Shows, wenn man so will. Das ist nur mehr Jahrmarkt, Spektakel, Zirkus, da geht es gar nicht mehr um die Musik. Liveauftritte werden für die Künstler außerdem immer wichtiger, weil immer weniger Musik gekauft wird”, bestätigt Stefan Auer.

Blase kurz vor dem Platzen

Der Maßlosigkeit, die durch Angebot und Nachfrage ermöglicht wird, sind jedoch laut Szenekennern Grenzen gesetzt. Philipp Straub, Chef der Künstleragentur Titan, der Artists wie Paul Kalkbrenner und Carl Cox nach Österreich bringt, glaubt, dass das Systems nicht mehr lange rentabel sein wird: “Eine ähnliche Situation hatten wir schon von 2000 bis circa 2003, als die Blase geplatzt ist. Jetzt steuern wir wieder darauf zu, aktuell befinden sich die Gagen sicher am Zenit.”

Solange es sich für Veranstalter und Artists rentiere, werde das Spiel noch weitergehen, meint Straub. “Aktuell sehe ich zwei Trends: Große Festivals mit dementsprechend großen Namen und hohen Ticketpreisen auf der einen Seite – und auf der anderen die florierende Clubszene im Niedrigpreissegment, die die Szene gesund hält. Große Shows mit nur einem Artist sind eher wieder am Verschwinden.”

Konkurrenzkampf in Österreich

Kurz vor Beginn der heimischen Festivalsaison machen sich die Entwicklungen auch in Österreich bemerkbar. “Wir müssen jetzt viel mehr um internationale DJs kämpfen als früher, weil viele verständlicherweise nur mehr in den USA spielen wollen”, sagt Christian Lakatos. Dennoch mache man ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr mit, sind sich Lakatos und Auer einig: “Ab einer gewissen Grenze spielt der Act dann einfach nicht bei uns.”

Von dem Konkurrenzkampf zwischen den österreichischen Festivals profitieren vor allem die Artists, meint Lakatos: “Es gibt immer wieder den Fall, dass man von jemand anderem überboten wird. Gerade in den letzten Jahren werden manchmal absurd hohe Gagen geboten, und der besagte Act spielt dann plötzlich woanders.” Das wiederum treibt für die BesucherInnen die Ticketpreise in die Höhe. (Lisa Stadler, derStandard.at, 11.4.2013)

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  • April 15, 2013

Dieser Text erschien ursprünglich auf derStandard.at

Welche Auswirkungen unbetreute Social-Media-Profile von Toten auf die Hinterbliebenen haben können

“Ich wünsche dir viel Glück auf deiner Reise”, lautete vor kurzem ein Facebook-Posting, das ein User einem anderen auf seiner Pinnwand hinterließ. Eigentlich keine ungewöhnliche Nachricht, wäre der Adressat am Leben. Dieser war aber unerwartet vor ein paar Tagen gestorben und seine Freunde auf Facebook begannen, sein Profil als digitale Gedenkstätte zu nützen.

Neue, öffentliche Formen der Trauer

Sie posteten Fotos, Videos, Erinnerungen in Textform – eine durch die sozialen Netzwerke entstandene Art, mit Trauer umzugehen, die in einer neuen (Teil-)Öffentlichkeit stattfindet. “Es ist gut, Trauer offen auszuleben und sie nicht zu verdrängen. Diese Form der Trauerverarbeitung und Erinnerung kann eine sehr schöne und hilfreiche sein”, meint Eva Mückstein, Präsidentin des Österreichischen Verbands für Psychotherapie.

Die Trauernden tauschen sich dort intensiv aus, können einander helfen und sich auch Jahre nach dem Tod noch dort etwa zum Todestag treffen. “Vorausgesetzt, die engen Familienmitglieder wollen das so. Denn sie sind diejenigen, die die Entscheidungsmacht haben sollten, wie mit Accounts in sozialen Netzwerken umgegangen wird, wenn der oder die Verstorbene das nicht selbst geregelt hat”, ergänzt Mückstein. Ungewollt könne eine solche Form der Trauerverarbeitung genau den gegenteiligen Effekt haben und für die Hinterbliebenen sogar zur Qual werden. Dann könne nicht mit der Trauer abgeschlossen werden und es entstehen neue Probleme.

Ungewollte Lebenszeichen aus dem Jenseits

Unternimmt man nach dem Tod eines Facebook-Users zum Beispiel gar nichts, kann er weiterhin bei Geburtstagserinnerungen oder in gewissen Werbeformen auftreten (à la “Max Mustermann und drei weitere Freunde sind Fan dieser Seite”). Auch die simple Präsenz des Profils kann belastend sein.

Was also tun mit den Social-Media-Profilen, wenn jemand aus der Verwandtschaft oder eine nahestehende Person verstorben ist? Die meisten sozialen Netzwerke haben bereits Lösungen parat, diese unterscheiden sich aber von Fall zu Fall.

Lösungen der Anbieter

Bei Facebook etwa gibt es für Verwandte oder Befugte nach Ausfüllen bestimmter Formulare und Einsenden der Sterbeurkunde die Möglichkeit, das Profil in den “Gedenkstatus” zu versetzen. Das Profil ist dann gekennzeichnet, User können darauf Postings hinterlassen, die Person scheint aber nicht mehr bei Benachrichtigungen oder Werbeformen auf. Bei Bedarf kann der Account auch vollständig gelöscht werden, den Zugang zum Profil, um etwa private Nachrichten lesen zu können, gibt Facebook aber nicht heraus.

Ähnlich verläuft es bei Twitter: Der Account kann deaktiviert werden, die Login-Daten werden aber nicht herausgegeben. Etwas schwieriger wird es etwa bei Flickr, wo es derzeit keine Möglichkeit gibt, auf private Fotos zuzugreifen, da das Unternehmen die Privatsphäre der User auch nach dem Tod schützt.

Eine Imagefrage

Eine andere Frage, die sich im Zusammenhang mit dem Umgang der Social-Media-Auftritte von Verstorbenen stellt, ist: Welches Bild soll man von dieser Person nach ihrem Tod aufrechterhalten? Jenes, das sie gerne gesehen hätte, oder jenes, das man als Hinterbliebener von dieser Person hat? “Als ein guter Bekannter von mir plötzlich bei einem Radunfall ums Leben kam, war seine Facebook-Seite voll mit Erinnerungen seiner Freunde an ihn. Er war ein schräger Vogel, und da war alles Mögliche dabei. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob er das so gewollt hätte”, erzählt Maximilian Schubert.

Das war für den Generalsekretär der ISPA (Vereinigung der Österreichischen Internet-Service-Provider) der Anlass dafür, mit KollegInnen eine Broschüre über den digitalen Nachlass zu verfassen. “Das Thema ist ein sehr breites und die wenigsten machen sich Gedanken darüber, was nach ihrem Tod mit dem digitalen Eigentum passiert. Will der Opa wirklich, dass die Enkerln die Fotos von seiner Ex-Freundin am Computer finden?” Die Problematik ist im Grunde eine Ähnliche wie im “analogen Leben”, man muss entscheiden, was mit Briefen, Fotoalben und Ähnlichem passiert.

Followers vererben: Twitter im Testament?

Auf offiziellen Wegen steckt der digitale Nachlass hierzulande aber noch in den Kinderschuhen. Marion Aitzetmüller von der Österreichischen Notariatskammer sagt ganz offen: “Uns ist zwar seit ein paar Jahren bewusst, dass es da rechtlichen Handlungsbedarf gibt, der Umgang mit Profilen in Social Networks im Testament kann aber zum Beispiel noch nicht so leicht geregelt werden. Wir haben auch noch kaum Fälle dieser Art, da die meisten Jungen gar kein Testament machen.”

Der Tante Mitzi die 1.300 Followers auf Twitter zu vermachen geht also noch nicht per Notar. Am sinnvollsten ist es Aitzetmüllers Ratschlag nach derzeit immer noch, einfach alle relevanten Passwörter und die Wünsche zum Umgang mit dem Inhalt irgendwo zu notieren und einem Freund oder einer Freundin zu sagen, wo sie sich im Notfall befinden.

Tools zur Verwaltung des sozialen Lebens nach dem Tod

Im amerikanischen Raum sind bereits Tools entstanden, die Usern die Organisation des “sozialen Nachlasses” erleichtern sollen. Deadsoci.al etwa verwaltet die Accounts auch nach dem Tod und erlaubt es Usern, “aus dem Jenseits” zu posten: Personen, die zum Beispiel schwer krank sind, können dort Facebook-Postings an ihre Lieben für die Zukunft planen, sei es der 18. Geburtstag des jetzt erst zwei Jahre alten Enkels oder ein jährlicher Gruß am eigenen Geburtstag. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Fraglich ist nur, ob es Plattformen wie Facebook dann überhaupt noch gibt.

Ob man überhaupt noch lebt, prüft Deathswitch, ein Service, bei dem man in regelmäßigen Abständen auf E-Mails antworten muss. Werden die Mails nicht mehr beantwortet, schickt das Service vorbereitete Informationen an bestimmte Personen. Legacy Locker wiederum ist ein Tool, über das man den gesamten digitalen Nachlass verwalten kann. Die Liste könnte hier noch lange weitergehen, wie seriös die einzelnen Services sind, wäre sicher eine weitere Geschichte wert.

Mit derzeit rund einer Milliarde Facebook-Usern weltweit und einigen weiteren Menschen in anderen Netzwerken wird die Problemstellung sicher wachsen. “Praktisch wäre es sicher, wenn Facebook und andere soziale Netzwerke gleich beim Erstellen des Accounts danach fragen würden, was mit dem Profil nach dem Tod passieren soll. Das kann man natürlich auch nicht beantworten oder selbst ändern”, wünscht sich etwa eine Freundin im Gespräch. Bis dahin bleibt noch der gute alte Spickzettel mit den Passwörtern. (Lisa Stadler, derStandard.at, 4.2.2013)

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  • February 6, 2013

Heute hatte ich die Ehre den fjum Workshop über Social Media zu besuchen. Gesehen habe ich von Events dieser Art schon ein paar, viele waren leider eine Enttäuschung für mich, da nur die Basics besprochen wurden.

Der Vortragende von heute, Sree Sreenivasan von der Columbia University, hat hingegen Basics mit sehr hilfreichen Infos für “Fortgeschrittene” präsentiert, die ich der werten Leserschaft nicht vorenthalten will. Hier also eine kurze Aufzählung an Tools, die hoffentlich für manche brauchbar sind:

Geofeedia: location based monitoring von öffentlichen (!) Social Media Inhalten

Twiangulate: Influence-Research-Tool für Twitter

Socialflow: analysiert, wann am besten welche Inhalte gepostet werden sollen, gratis Testversion, dann kostenpflichtig

Tweriod: analysiert auch besten Zeitpunkt zum Twittern

(c) Walter Henisch

Links:

Social Media Guide

Mehr Fotos auf der fjum FB-Page

 

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  • June 20, 2012

veröffentlicht auf KURIER.at am 7.5.2012.

Eine Facebook-Page veröffentlicht alte iranische Magazin-Covers und macht so auf den kulturellen Wandel durch das islamische Regime aufmerksam. Zur Bildergalerie geht es hier.

Freizügig gekleidete Frauen, westliche Mode frisch aus Paris und Reportagen über die berühmtesten Fallschirmspringerinnen des Landes. Kaum jemand stellt sich hierzulande so die Inhalte iranischer Frauenmagazine vor. Dass die gesellschaftliche Situation für Frauen im Iran vor nicht allzu langer Zeit anders war als heute, zeigt unter anderem eine Facebook-Fanpage, die Magazin-Covers aus der Zeit der Weißen Revolution (Liberalisierung unter Schah Mohammed Reza Pahlavi 1963-1979) veröffentlicht.

Shabnam (57) und ihre Tochter Nooshin (32)*, zwei Wienerinnen, die 1985 aus dem Iran emigriert sind, erinnern sich an die Zeit vor der islamischen Revolution und wie die Magazine die damalige Gesellschaft widerspiegeln. „Die Zeitschriften enthielten damals auch oft Schnittvorlagen, nach denen man sich die neueste Mode nachschneidern konnte. Meine Familie stammte aus der Mittelschicht, ich konnte mir also keine Designer-Mode leisten, aber selbst nähte ich mir die Imitate, das war gar kein Problem,“ erzählt Shabnam. „Maxijupe oder Minijupe waren damals besonders in. Es dauerte nur wenige Wochen bis der neueste Trend aus Paris in Teheran angekommen war.“

Shabnam wurde 1955 in eine Gesellschaft geboren, die sich im Aufbruch befand. Schah Mohammed Reza Pahlavi orientierte sich stark am Westen und setzte maßgebende Veränderungen durch. Frauen erhielten 1963 das Wahlrecht, wurden erstmals in öffentlichen Ämtern eingesetzt, konnten etwa studieren und alleine reisen. Binnen weniger Jahre wurde der Iran zum Industriestaat. Schiitische Geistliche wandten sich aber gegen die sozialen Reformen. „Natürlich gab es damals Konservative. Die Religion spielte aber keine Rolle im öffentlichen Leben. Sobald du aus dem Haus gingst, war die Religion egal. Die Frauenzeitschriften, die inhaltlich westlich orientiert waren, waren aber ein Dorn im Auge der Konservativen.“

Westliche Popkultur, die in Magazinen wie Banuvan (Frauen) oder Zane Rooz (Frau von heute) vorkam, war kein Fremdkörper für die damaligen Iranerinnen. Shabnams Schwester selbst war Schauspielerin und synchronisierte ausländische Filme. „Wenn du wolltest, konntest du ins Theater, Kino, politische Kabarett oder in Discotheken gehen. Zuhause empfingen wir amerikanisches TV und bekamen etwa die Studentenrevolten oder die Anti-Kriegs-Demonstrationen mit. Wir tranken auch Whiskey, das war ganz normal. Das wichtigste war aber, dass wir keine Angst haben mussten. Die Sicherheit war soweit gegeben, dass man als Frau alleine durch die Straßen gehen konnte. Heute ist das undenkbar“, erinnert sich Shabnam.

“Alles, was erkämpft wurde, war sofort wieder weg.”

Binnen kurzer Zeit schlug die liberale Stimmung aber um. Nach der islamischen Revolution 1979 dauerte es nur wenige Jahre, bis Schrecken und Unterdrückung den Alltag prägten. Das Regime unter Ayatollah Khomeini verfolgte eine antiwestliche Linie. Ein Schlüsselerlebnis hatte Shabnam 1984 an dem Tag, an dem sie ihrer Tochter Kleidung für den ersten Schultag kaufen wollte. „Damals mussten die Frauen schon verhüllt sein, ich trug also Kopftuch und lange Kleidung. Allerdings hatte ich Sandalen an und meine Zehen schauten vorne raus. Die Verkäuferin ließ mich nicht in das Geschäft bis ich mir Strümpfe übergezogen hatte. Und das bei über 40 Grad. Alles, was erkämpft wurde, war sofort wieder weg.“

Nooshin verließ mit ihrer Mutter im Alter von sieben Jahren den Iran. Die zurückgebliebene Verwandtschaft sieht sie zusehends dem Materialismus verfallen. „Es zählt nur mehr das Geld. Du brauchst es um andere zu schmieren und um deinen Status zu zeigen.“ Trotzdem will sie  wieder für längere Zeit zurückkehren, um die Verbundenheit zur Heimat nicht zu verlieren. Ihre Verwandten aber raten ihr jedes Jahr, die Reise zu verschieben. Es sei zu gefährlich, meinen sie. Iraner mit Kontakten ins Ausland haben tatsächlich Verhaftungen zu befürchten. Amnesty International berichtet von verstärkter Unterdrückung der Opposition, insbesondere wird hart gegen Frauenrechtlerinnen vorgegangen. So wurde 2011 etwa Fereshteh Shirazi festgenommen oder die Bloggerin Somayeh Tohidlou wegen Präsidentenbeleidigung zu 50 Peitschenhieben verurteilt. Frauenmagazine im Stil der 70er Jahre gibt es heute nicht mehr, der Iran liegt auf Platz 175 auf der Rangliste der Pressefreiheit (Bericht 2011 und gehört somit zu den reppresivsten Staaten weltweit. Oppositionelle Facebook-Gruppen und –Pages oder die Seite „Old Iranian Magazine Covers“ sind kleine Versuche zumindest auf die Missstände aufmerksam zu machen.

*Namen von der Redaktion geändert.

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  • May 8, 2012

Veröffentlicht auf KURIER.at am 19.3.2012.

Warum eine permanent kommunizierende Gesellschaft die Politik auf den Kopf stellen wird, erzählt der Politiker Michel Reimon in “Incommunicado”.

Was für ein Timing: Dass das Thema Urheberrecht die Massen beschäftigen würde, hätte vor ein paar Jahren wohl kaum jemand gedacht. Michel Reimon traf aber genau ins Schwarze und begann an einem Roman zur Thematik arbeiten. Jetzt, wo die Bürger wegen ACTA auf die Straße gehen und die Zeit mit “Ist das Urheberrecht die neue Atomkraft”titelt, wird sein Buch veröffentlicht. Dabei war er bereits 2009 fertig – der Roman über eine kleine Band, die in einen Rechtsstreit mit einem großen Konzern gerät, erzählt Reimon im Gespräch mit KURIER.

David gegen Goliath, Kreativität gegen die Klauen der Industrie, die sich in digitalen Zeiten nicht mehr anders zu helfen weiß als wie wild um sich herumzuklagen. Doch dann machte Reimon einen Fehler, zumindest was die Vermarktung seines Buchs angeht: Er wurde Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl im Burgenland 2010. Und somit für Verlage als Autor uninteressant. Bücher von aktiven Politikern verkaufen sich meistens schlecht, aber Romane von Politikern verkaufen sich gar nicht. “Überlegen Sie doch mal: Würden Sie einen Roman von einem Politiker kaufen?” sagte die Literaturagentin zu Michel Reimon.

Brauchen wir in Zukunft noch Verlage?

“Macht nichts”, dachte sich Reimon und entschied sich schlussendlich dazu, “Incommunicado” (nicht fähig, mit der Außenwelt zu kommunizieren), so der Titel des Werks, selbst zu veröffentlichen. Ohne Verlag, nur digital und auch noch gratis. Idealistischer Autoren-Selbstmord? Nicht unbedingt – ist Reimon doch einer der wenigen hierzulande, die online gut vernetzt sind und dadurch die Öffentlichkeit erreichen können. Ganz ohne Verlag als Multiplikator. Mit rund 5.000 Followers alleine auf Twitter und einem gut gewarteten Blog ist er im kleinen Österreich schon vorne mit dabei. “Ein Manuskript abzulehnen und in Schubladen vergilben zu lassen – das ist ein altes Konzept. Das hat keine Zukunft. […] Ich will meine Arbeit diskutieren, mit möglichst vielen Menschen”, schreibt Reimon auf seinem Blog.

Eine absurde Handlung, die gar nicht so absurd ist

Worum geht es also genau in “Incommunicado”? Temporeich und unterhaltsam wird die Geschichte eines Musikjournalisten erzählt, der eine Band kennenlernt, die eine Schweigeminute im Repertoire hat. Gleichzeitig arbeitet die Musikindustrie gerade an einem neuen Geschäftsmodell: Nachdem mit dem Verkauf von Musik kein Geld mehr zu machen ist, sollen so viele Nutzungsrechte für Werke wie nur möglich gekauft werden um dann klagen zu können, wenn jemand anderer auf das Ursprungswerk verweist, eine zentrale Verwaltungsstelle für Coverversionen und Samples also. Im Buch heißt es: “Wir kassieren nicht mehr bei den Konsumenten, sondern bei den Bands. Wir werden uns nicht mehr damit aufhalten, die illegalen Downloads zu bekämpfen. Das ist ohnehin ein Guerillakrieg, für den wir viel zu schwerfällig sind.”Die Schweigeminute der Band im Roman wird also zum Klagsfall. Denn nach der Logik der Industrie verletzt die Schweigeminute die Rechte an der Vervielfältigung von John Cages “4’’33” aus dem Jahr 1952. Im Stück des Experimentalmusikers Cage wird vier Minuten und 33 Sekunden lang kein einziger Ton abgespielt. Klingt absurd? So abwegig ist das gar nicht: Mike Batt wurde 2002 von John Cages Erben verklagt, weil er das Stück “One Minute Silence” veröffentlicht hatte. Am Ende stellte sich aber heraus, dass die Klage ein PR-Gag war um Batts Werk zu pushen. Ganz ähnlich geht es in “Incommunicado” zu: Die Band wird verklagt, wehrt sich und wird durch die Auflehnung gegen die bösen, großen Konzerne und ihre Forderung auf das “Recht auf Schweigen” so bekannt, dass ihnen eine eigene Bewegung folgt.

Phänomene wie die ACTA-Proteste zeigen, dass der Diskurs um Internet als öffentlicher Raum und Datenschutzbestimmungen kein Randthema mehr ist. Die Fronten sind so verhärtet, dass eine sinnvolle Diskussion zur Zeit kaum möglich ist: die einen wollen ein freies Internet und neue Geschäftsmodelle für die Industrie, die anderen sehen die Existenz einer riesigen Branche gefährdet. Wie so ein neues Geschäftsmodell aussehen könnte, wo die User es gewohnt sind, Filme, Musik, Bücher gratis downzuloaden, weiß allerdings auch noch niemand so wirklich. Höchstens Anbieter wie flattr sind kleine Schritte in eine neue Richtung. Erst am 9. März 2012 sorgte etwa die Band Deichkind in Deutschland für Aufsehen. Nachdem ihr Musikvideo zum Track “Leider geil” gesperrt wurde, posteten sie auf Facebook: “Sooo, “Leider geil” ist jetzt auch gesperrt. Ob Plattenfirma, Youtube oder GEMA, egal wer dafür verantwortlich ist. Wir wollen, dass unsere Videos zu sehen sind. Regelt euren Scheiß jetzt endlich mal und macht eure Hausaufgaben. Ihr seid Evolutionsbremsen und nervt uns alle gewaltig..” Am 17. März hat dieses Posting 31.728 Likes, 3.834 Shares sowie 1.513 Kommentare – und das Video ist aufgrund der Proteste der Fans schon längst wieder zugänglich gemacht worden.

“Netzpolitik ist einer der größten politischen Umbruchbereiche der nächsten Jahrzehnte. Es ist mindestens so bedeutend wie damals das Aufkommen der Umweltpolitik. Deswegen habe ich mich auch im Roman diesem Thema gewidmet”, meint Reimon im Interview mit dem KURIER. “Wir als Gesellschaft müssen uns massiv überlegen, wie wir mit geistigem Eigentum in Zeiten der Vernetzung umgehen. Ich bin nicht dafür, dass alles gratis ist. Möglichst viele Kreative sollen von ihrer Arbeit leben können. Das Problem ist, dass wir uns auf einen anderen Extrempunkt zubewegen. Und damit beschäftigt sich mein Roman.”

Auf die Frage, warum er denn nicht ein Sachbuch dazu verfasst hat und stattdessen einen Roman geschrieben hat, sagt der Autor: “Ich habe am Anfang Einstiege in einzelne Artikel für ein Sachbuch zu dem Thema geschrieben – und sie waren die schlechtesten Texte, die ich je verfasst habe, wirklich erbärmlich schlecht. Nach dem Scheitern am Sachbuch kam mir die Idee, das als Roman anzugehen. Ich dachte mir, das ist eine einfache Form, ich habe keine Längenbegrenzungen und keinen Abgabgetermin. Außerdem kann man mit der unterhaltsamen Form des Romans die Informationen viel besser vermitteln. Ich habe versucht so viel Information unterzubringen wie nur möglich. ‚Incommunicado’ ist also bewusst ein halbes Sachbuch.”

Michel Reimon (40) war 2002 Pressesprecher der Initiative STOPP GATS und veröffentlichte sein erstes Buch “Days of Action”. Zusammen mit Christian Felber folgte 2003 das “Schwarzbuch Privatisierung. 2004 trat er den Grünen bei und wurde Pressesprecher des burgenländischen Landesverbandes. Seit Februar 2012 ist sein Roman “Incommunicado” (581 Seiten) auf reimon.net kostenlos ohne DRM downloadbar.

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  • March 25, 2012

Veröffentlicht auf KURIER.at am 7.3.2012.

Während sich die Opposition geschickt im Netz bewegt, hat Putin damit noch zu kämpfen.

Eine ältere Dame im dicken Pelzmantel liest auf ihrem iPad, ein paar Plätze weiter dreht ein Mann mit seinem Smartphone ein Video von einer Frau, die offensichtlich nicht ganz bei Sinnen die Nationalhymne kreischt. Und das schon seit drei Minuten. Eine andere Frau versucht all das zu ignorieren und vertieft sich in ihren Kindle. So geht es zu an einem ganz normalen Tag in der Moskauer Metro. Das Internet und die sozialen Netzwerke haben die Großstädte Russlands schon längst erreicht, und zwar mit einer Rasanz, die sonstige Anachronismen des Landes oft noch mehr hervorhebt. Die Waggons der Metro sind zwar alt, das kostenlose W-Lan für das gesamte Netzwerk der in den 30er-Jahren gebauten U-Bahn ist aber schon in Arbeit. “Wir brauchen ja sonst nichts Wichtigeres”, kommentiert der junge Moskauer Ildar ironisch das geplante Service für die Bürger.

Er selbst ist aber bei jeder Gelegenheit online. Die Wahlen zum Beispiel – erstmals per Webcams in allen Wahllokalen per Internet verfolgbar – wurden zum Online-Hit. “Ruf mich an, bevor du den Raum betrittst! Registriere dich am besten beim Mädchen in der Mitte, da sehe ich dich am besten”, befiehlt Ildar seinen Freunden, damit er einen Screenshot von ihnen beim Einwerfen des Wahlzettels in die Urne machen kann. Die Fotos werden sofort auf Facebook, Twitter oder dem speziell in Russland beliebten Netzwerk VKontakte gepostet – so wie die meisten anderen mehr oder weniger wichtigen Informationen aus seinem Leben auch. Dass die sozialen Netzwerke also auch als Informationsquelle und Austauschmöglichkeit vor der Wahl dienten, versteht sich von selbst.

Opposition im Netz

Ildar kennt sich im Netz aus.Bei der Web 2.0-Präsenz hat die Opposition die Nase vorn. Der Blogger Alexej Nawalny etwa, einer der Köpfe der Protestbewegung, nützt das Web effektiv für seine Ziele. Die kritische Moderatorin und Journalistin Xenia Sobtschak hat 380.000 Followers auf Twitter und Portale wie OpenSpace.ru, Slon.ru, LiveJournal.ru (das Medium Nawalnys) oder Snob.ru (im Besitz von Kandidat Prochorow) posten ihre Informationen wenn nötig im Minutentakt in den sozialen Netzwerken.

Die Oppositionsbewegung weiß auch mit der Produktion und Vereinnahmung von Memen umzugehen, Internet-Phänomenen, die sich von selbst weiterverbreiten: Ein Montage-Video, wo Putin hinter Gittern vor der Anklage zu sehen ist wurde etwa schon über fünf Millionen Mal gesehen. Wenige Minuten, nachdem Putin mit Tränen im Gesicht seine vorzeitige Siegesrede hielt, kursierte bereits ein Screenshot davon auf Facebook. Die Unterschrift des Bildes lautet “Moskau glaubt den Tränen nicht” – gleichzeitig der Titel eines sehr bekannten sowjetischen Filmes. Einen Tag danach war der Spruch schon auf den Protestplakaten zu sehen.

Brachland

Diese Dynamik haben die Anhänger von Putin noch nicht verstanden. Es wird vorrangig mit allen möglichen Mitteln versucht dem Austausch im Netz ein Bein zu stellen. So wurden einige der oben genannten Portale bei der Parlamentswahl im Dezember kurzfristig blockiert, auf Twitter war die Rede von Fake-Accounts, die wirre Informationen zu Demos posten und es gab einige Hacker-Angriffe auf Oppositionelle, um sie mit der Veröffentlichung prekärer Infos bloßzustellen. All das sind zwar kurzfristig effektive Möglichkeiten um etwas Unruhe zu stiften, zielt aber nur auf Unterbindung ab. Das Gegenteil davon, also die effektive Mobilisierung der Massen mithilfe des Internets generell und der sozialen Netzwerke im Speziellen ist noch Brachland in Russland.

Zwar tut sich wie oben beschrieben vor allem auf oppositioneller Seite schon einiges, gezielte und sehr große Aktionen speziell für die sozialen Netzwerke wie sie es beim Obama-Wahlkampf schon 2008 gab, waren noch nicht da. Wer in Russland dieses Potenzial in den nächsten Jahren nützt, wird es wesentlich leichter haben beim Spiel mit der Macht. Voraussetzung für das Machtspiel ist aber überhaupt das Zulassen der demokratischen Mechanismen der sozialen Netzwerke. Am Umgang Putins damit werden wir mitunter sehen, welche Richtung eingeschlagen wird.

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  • March 7, 2012
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Am Donnerstag präsentierte das Sound:Frame Festival das Programm für 2012. Thema ist von 12.-22.4. das “Substructions” – Rahmenbedingungen.

Veröffentlicht auf KURIER.at am 2.3.2012.

Eva Fischer sattelte bei der Programmpräsentation für das “Festival for audiovisual expressions” das Pferd von hinten auf: Die Intendantin des Sound:Frame Festivals für audiovisuelle Kunst bedankte sich bei ihrem Team und stellte jeden einzelnen Mitarbeiter mit seiner Tätigkeit kurz vor. Nicht ohne Grund drehte sie die klassische Dramaturgie einer Pressekonferenz um: Bei der sechsten Ausgabe des Sound:Frame stehen nämlich der Unterbau, die Rahmenbedinungen, die “Substructions”, wie das Festival es selbst etwas sperrig benennt, im Zentrum. Das Thema habe sich ergeben, meint Eva Fischer, denn gerade dieses Jahr müssen viele Festivals mehr als sonst mit den Rahmenbedingungen auseinandersetzen, die ein Event überhaupt ermöglichen. Bei einigen kleineren Festivals ziehen Sponsoren ihre Gelder zurück, A1 hat etwa beim Crossing Europe Festival einen Rückzieher gemacht – und auch das Sound:Frame muss wegen ausfallender Unterstützungen kleiner werden. Statt fetten Locations wie der Ottakringer Brauerei und Party-Bim dorthin weicht man in den kleinen Morrison Club, ins Fluc, oder ins Brutaus.

Programm: Mehr Theorie, weniger Party

Inhaltlich teilt sich das Festival auf die Schwerpunkte Ausstellung, Konferenz und Live-Programmierung auf. Neu ist dieses Jahr die Ausstellungslocation MAK, die durch den jahrelangen Sound:Frame-Unterstützer und MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein zustande kam.

Zeit für das fröhliche Namedropping: Von 12.-29.4. zeigen im MAK die Künstler Robert Henke aka Monolake, Herman Kolgen, Tarik Barri, Rainer Kohlberger, depart, Jan Jelinek und Karl Kliem ihre neuesten Auseinandersetzungen mit Visuals. Dazu erscheint ein Katalog, in dem auch Textbeiträge rund um das Thema Nachhaltigkeit Platz finden. Als Inhaltsspender konnten unter anderen Thomas Weber vom Biorama Magazin und Christian Höller von der springerin gewonnen werden – sie sind mit anderen Who-is-Whos der österreichischen Kulturszene auch bei den Vorträgen und Diskussionen, die während des Festivals stattfinden, mit dabei. Von den rund fünfzig Artists, die bis jetzt für das Live-Programm feststehen, gehören musikalisch John Talabot (Permanent Vacation, Young Turks/Barcelona), Taylor McFerrin (Brainfeeder/NYC) und ein Showcase des Boiler Room zu den Highlights. Auf der Visuals-Seite, die ja beim Sound:Frame im Zentrum steht, setzt man heuer stark auf heimische Artists: Strukt, ENSCHA, kon.txt, LWZ oder Bildwerk sind mit mit von der Partie, aus Berlin kommen Gezwinele les Günfiés und eyefatiguè.

Das Sound:Frame wird erwachsen

War das Sound:Frame vor ein paar Jahren noch ein Musikfestival, das die Visuals in den Vordergrund stellte, ist es jetzt ein Kunst- und Theoriefestival mit Partyline. “Das Festival ist mit uns erwachsen geworden.” bestätigt Fischer diesen Eindruck gegenüber dem KURIER. Zum Erwachsenwerden gehört eben leider auch die Auseinandersetzung mit diversen Problemen, in diesem Fall sind es die erschwerten Rahmenbedingungen für Festivals mit Mut zur Nische. Anstatt sie auf Wiener Art niederzunörgeln, wird der Unterbau samt Problemen aufs Podest geholt und zur Rede gestellt. Gut so – und für die gute Party muss dann nach ernsten Diskussionen eben noch härter gearbeitet werden.

 

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  • March 2, 2012