Ist Facebook mehr Freund oder Feind für die Medien? Was bringt es dem ORF, seine Inhalte dort zu „verschenken“? Streiten sich JournalistInnen darum, wer mehr Likes bekommen kann? Und lässt sich Clickbait vermeiden? Darüber diskutierten Patrick Swanson und ich mit Armin Thurnher und Lina Paulitsch im Medienquartett zu Digitalstrategien, hier zum Nachschauen. Nüchternheitswarnung: Wir waren uns leider viel zu einig, um uns zu beschimpfen.
Journalismus
W24 Spezial lud zu 1,5 Stunden Diskussion über Fake News, Algorithmen und einiges mehr, was derzeit den Journalismus beschäftigt. Katharina Schell, Mitglied der APA-Chefredaktion, wies darauf hin, dass man die verschiedenen Aspekte von „Fake News“ beachten soll und der Begriff eigentlich schon viel zu inflationär verwendet wird, womit sie vollkommen recht hat. Unterschieden werden muss zwischen gezielter Beeinflussung/Propaganda, die es in die Medien schafft, Fehlern seitens der Medien, Zeitungsenten, Reinfallen auf falschen User Generated Content und auch komplett erfundenen Storys mit dem Ziel der Monetarisierung.
Wie jede Diskussion über Medien gelangten auch wir zu dem Argument, dass die Medien den großen Fehler gemacht hätten, online ihre Inhalte gratis anzubieten. Dem widersprach Gregor Kucera von der Wiener Zeitung sehr eloquent, indem er darauf hinwies, dass auch in Print ein sehr großer Teil der Einnahmen durch Werbung generiert wird und der Kaufpreis nur einen Teil des Vertriebs finanziert. Es ist auch ein Mythos, dass der Vertrieb der Inhalte online nichts kostet.
Algorithmen per se sind nicht böse
Besorgt zeigte sich Fritz Hausjell, Medienhistoriker & Journalismusexperte der Uni Wien über Algorithmen, die zunehmends Einfluss auf unseren Medienkonsum nehmen. Das ist auch durchaus gerechtfertigt, vor allem, weil wir KonsumentInnen meist keinen Einblick haben, wie diese Algorithmen genau funktionieren. Deshalb heißt das aber nicht, dass sie per se schlecht sind. Wenn Medienunternehmen verantwortungsvoll mit der Gestaltung dieser Algorithmen umgehen, können diese einen großen Vorteil für die User bedeuten.
So kann eine individuell aufbereitete Startseite die Freude am Medium enorm erhöhen – solange relevante internationale Nachrichten zum Beispiel trotzdem im Aufmacherbereich sind und die Überraschung durch das Medium nicht verloren geht. Die ganze Diskussion gibt es hier zum Nachschauen, sie dauert für TV-Verhältnisse ewige 1:25 Stunden, es war trotzdem extrem schnell vorbei und man könnte natürlich wochenlang über all diese Themen sprechen und ins Detail gehen.
In Somalia starben Dutzende an Cholera und es droht eine Hungersnot, der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich spitzt sich zu, das Verhältnis zwischen der Türkei und Europa wird auf die Prüfung gestellt und – ach ja, da wäre noch diese Sache mit Trump. In der idealen Welt des Qualitätsjournalismus erhalten diese Inhalte die meiste Aufmerksamkeit der UserInnen.
Die meistgelesene Geschichte auf derStandard.at war gestern aber jene über ein „altes Pizzafoto von Norbert Hofer“. Das löst eine Vielfalt an Reaktionen bei Medienmachern aus: Was ist nur aus dem Journalismus geworden? Zerstört Social Media jegliche Möglichkeit zu ernsthaftem Diskurs? Sind unsere LeserInnen womöglich doch nicht die hyperreflektierten Intellektuellen, wie wir sie uns so gerne vorstellen? Warum investieren Journalisten Zeit für so eine Meldung?
Alles berechtigte Fragen, wie Debatten um Fake News, Filter Bubbles oder die Gatekeeper-Funktion der Medien beweisen. Gleichzeitig ist große Besorgtheit bei Ausreißern wie dem #Pizzagate meiner Meinung nach nicht nötig, und zwar aus mehreren Gründen.
Daten sind nicht der Feind
Das Leseverhalten der User können wir zwar schon einige Jahre lang analysieren, diese Zahlen werden aber immer noch gerne ignoriert oder nur dann genauer betrachtet, wenn unliebsame Ausreißer wie Norbert Hofers Pizza eintreten – und zwar um zu beweisen, dass der Online-Kulturpessimismus berechtigt ist. Ein Vergleich: Bei Printprodukten kann außer durch aufwändige Leseflussanalysen mit wenigen Probanden nicht festgestellt werden, welche Geschichten am meisten gelesen werden.
Die Ernüchterung, die eintritt, wenn womöglich die kleinen Kästchen mit banalen Kurzmeldungen wie „Katze nach fünf Tagen von Dach gerettet“ häufig konsumiert werden, ist nachvollziehbar. Sie sagt aber mehr über die Erwartungshaltung an die LeserInnen aus als über den Sittenverfall der LeserInnen selbst. Ein wenig Eigenbeobachtung kann zur Relativierung manchmal nicht schaden: Welche Artikel habe ich heute Morgen wirklich gelesen? Und über welche spreche ich mit meinen Freunden? Wenn gerade keine Breaking News passieren, sind es hin und wieder auch die etwas weniger komplexen, um es höflich auszudrücken.
Die Liebe zum Banalen wird den Journalismus nicht umbringen
Denn diese Zahlen zeigen lediglich, worüber „man spricht“. Das sind Inhalte, zu denen man ohne lange Recherche eine Meinung haben kann, die oft auch amüsant sind, aufregen oder einen persönlich betreffen. Solche Inhalte fanden immer schon in größerem oder kleinerem Ausmaß in die Medien, heute können wir das lediglich besser analysieren und visualisieren.
Oft werde ich von StudentInnen für Interviews für Bachelorarbeiten gefragt, ob Berichte über solche „Gesprächsthemen“ und deren Verbreitung über Social Media den Qualiätsjournalismus gefährden. Meiner Meinung nach tun sie das nur, wenn deshalb weniger über ernste und komplexe Geschehnisse auf der Welt berichtet wird. Und genau da sind Qualitätsmedien in der Verantwortung, das nicht geschehen zu lassen.
Dürfen Qualitätsmedien „Gossip“ bringen?
Dass es zusätzlich zur ernsten Berichterstattung kurze Meldungen gibt, die viele User teilen, kann derzeit sogar eine wichtige Säule des Geschäftsmodells von kostenlosen Online-Medien sein (wobei das wieder eine andere Diskussion ist). Dabei kommt es hauptsächlich darauf an, zu entscheiden, was meldenswert ist und wie die Geschichte erzählt wird. Im Falle Hofers könnte man argumentieren, dass das Pizzafoto so banal gar nicht ist, weil ein Politiker einer offensichtlichen Lüge überführt wurde. Es findet derzeit ein Shift von der Aufgabe der „Chronistenpflicht“ im Journalismus hin zur „Diskursabbildung“.
Es gibt Hoffnung: Die Leserschaft ist bunt
Vergessen sollten wir aber auch nicht, dass an vielen Tagen gerade nicht die Pizza von Norbert Hofer „herumgereicht“ wird, sondern eben ein ernster Aufmacher, etwa aus dem Ressort International oder Inland. Viel Verweildauer können lange Reportagen, Hintergrundberichte, Analysen, Kommentare mit vielen Postings im Forum aufweisen. Eigentlich schön, denn das ist die Leserschaft, die man sich so gerne vorstellt. Dass die gleiche auch gerne unterhalten wird oder sich auch mal über ein Facebook-Foto empört, macht sie nur vielfältiger. Aber darüber kann man sich schlecht aufregen.
Seit 1. Dezember habe ich eine neue Aufgabe bei derStandard.at, und zwar als Head of Audience and Traffic Management. Zugegeben, meine Chefin Gerlinde Hinterleitner und ich haben lange überlegt, wie wir einen besonders treffenden Bullshit-Bingo-Titel 😉 erfinden können, der möglichst fancy klingt, noch fancier sind aber die Tätigkeiten des Teams, das ich leiten darf: Gemeinsam mit meinen Kolleginnen Lisa Hanzl, Cristina Coconu, Sabine Henhapl und Barbara Hautzendorfer verantworte ich die Maßnahmen, die dazu führen, User auf die Inhalte von derStandard.at aufmerksam zu machen, sie dazu zu bringen, lange auf der Website zu bleiben und diese Inhalte dann womöglich auch noch mit anderen zu teilen.
Social Media, SEO, ditigales Marketing
Dazu gehören etwa smart SEO, intelligentes digitales Marketing, die richtige Analyse von Daten, die entsprechende „Verpackung“ von redaktionellen Inhalten für unterschiedliche Plattformen oder der passende Ton in sozialen Netzwerken.
Herausforderung
Was mich auch gleich zur meiner Meinung nach wichtigsten Herausforderung in diesem Job bringt: Gerade in Zeiten, wo viele Medien meinen, mit marktschreierischem Getue, nervigen Werbemitteln und der Überflutung von sinnlosen Kampagnen nach Klicks heischen zu müssen, ist es kein Leichtes, genau diese Klicks auch auf erträgliche, ja sogar angenehme und sinnvolle Art zu erreichen.
Ziele
Das ist aber genau unser Ziel: Ruhig bleiben, wenn andere hyperventilieren, nochmal (schnell ;-)) nachdenken, bevor andere schon twittern, Google, Facebook und Twitter weder verteufeln noch vergöttern und ein qualitativ hervorragendes Produkt an mündige und smarte LeserInnen zu kommunizieren. Das wird oft schiefgehen und hoffentlich noch öfter funktionieren. Und darauf freue ich mich sehr.
Feedback? Immer gern an @lisapetete, lisa.stadler@derStandard.at oder sogar oldschool face to face.“
Einer der Riesenvorteile an „Urlaub“ (Duden: in Betrieben, Behörden, beim Militär nach Arbeitstagen gezählte dienst-, arbeitsfreie Zeit, die jemand [zum Zwecke der Erholung] erhält) ist ja, dass man wieder dazu kommt, Bücher (Duden: größeres, gebundenes Druckwerk; Band) zu lesen.
Eines davon, das mir untergekommen ist, stammt von Alain de Botton und heißt „Die Nachrichten. Eine Gebrauchsanweisung“. Der erste einleuchtende Grund, es zu konsumieren, leuchtet beschäftigten Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit sofort ein: Es ist nur rund 250 Seiten lang und großzügig gelayoutet (Bilder!). Nach ein paar Stunden Lektüre hat man also das Gefühl, etwas vollbracht zu haben und die Chancen sind groß, das Buch auch wirklich zu Ende zu lesen.
Der nächste Grund: Der Text führt all jenen, die hin und wieder mit Medien zu tun haben und die sich über deren Produktion beziehungsweise Konsumption Gedanken machen, einige erleuchtende Fakten vor Augen und bietet eine Idealvorstellung von Medien, die man diskutieren kann.
De Botton geht bei seiner Beschreibung der aktuellen Medienlandschaft dabei von KonsumentInnen aus, die generell Newsjunkies sind und dem aus meiner Sicht alten Schlag der LeserInnen/SeherInnen zuzuordnen sind: Nämlich jenen, die durch irgendeine Art von Tradition – meist in der Familie – gelernt haben, dass man bewusst täglich Nachrichten konsumiert. Das ist für mich schon einer der wesentlichen Punkte, bei denen der Autor etwas ganz Wesentliches vermisst:
Diese Menschen sterben nämlich aus. Blumig schreibt er: „In den entwickelten Wirtschaftsgesellschaften üben die Medien heute eine mindestens so starke Macht aus wie früher der Glaube. Die Berichterstattung taktet den traditionellen Tagesablauf mit unheimlicher Genauigkeit: Das Frühstück hat sich ins Morgenmagazin verwandelt, das Abendessen ist identisch mit der Tagesschau.“
Zum Glück für viele Medien gibt es zwar noch genügend Menschen, auf die das vielleicht zutrifft, ich persönlich kenne aber fast keine. Niemand in meinem Umfeld konsumiert Medien zu einem von den Medien festgelegten Zeitpunkt, sondern dann, wann er oder sie Zeit hat und dann geschieht das meistens zufällig über die soziale Netzwerke.
Wayne interessiert’s?
Das Interesse an Nachrichten schwindet massiv und zwar aus guten Gründen, die de Botton auch anführt: Wichtige Geschichten werden ohne Kontext und bruchstückhaft präsentiert, es fehlt an Einordnung, Meinung, dem „großen Bild“: „kein Wunder, dass wir uns langweilen“, so der Autor. Anhand der Bereiche Politik, Ausland, Wirtschaft, Prominenz, Katastrophen und Konsum werden Nachrichten analysiert und die Psychologie bei den Konsumenten hinterfragt. Was geschieht mit uns, wenn wir Geschichten über Promis lesen oder über einen Arzt, der sich aus dem 30. Stockwerk stürzt? Warum klickt niemand auf die Korruptionsgeschichte in Uganda? Und wie kann sich das ändern?
Attraktive Aufbereitung
Es kann „nicht darum gehen, die Menschen zu drängen, mehr „seriöse“ Nachrichten zu konsumieren; vielmehr sollten angeblich seriöse Nachrichtenkanäle wichtige Informationen so präsentieren, dass sie das Publikum wirklich ansprechen“, folgert de Botton. „Im idealen Medienunternehmen der Zukunft würden die anspruchsvollen Aufgaben der Kontextualisierung und Popularisierung so ernst genommen, dass Berichte über Fördergelder (fast) so aufregend wären wie über inzestuöse Kannibalen in Australien.“
Wir sind teils selbst schuld an der Wut
Dabei geht das Buch auf Bildsprache, Erwartungen des LeserInnen und auch auf die Wut in den Foren von Online-Medien ein. Diese hält de Botton für ein zum Teil selbstproduziertes Problem, das es jedoch auf Seiten der Berichterstattung zu bekämpfen gilt: denn die Medien präsentieren oft Probleme (gescheiterte Verhandlungen, Börsenstürze, etc.), verabsäumen aber die Schilderung der Komplexität dahinter. Dadurch fühle sich das Publikum einer Situation verständnislos gegenüber und sei entsprechend hoffnungslos. Das Resultat mitunter: Schimpf-Tiraden in den Kommentaren. (An dieser Stelle könnte ich jetzt noch einen halben Roman über weitere Gründe für Hate-Postings in Foren und Strategien für deren Bekämpfung anfügen, das mache ich dann in der Pension.)
Als Fazit geht aus „Die Nachrichten“ hervor, dass Medienmacher sich viel mehr an der Erwartungshaltung der LeserInnen orientieren und sich in ihre Lage hineinversetzen müssen: „Warum sollte ich diesen Text lesen?“ kann nämlich leider viel zu selten beantwortet werden. Zudem kommen die Artikel oder Beiträge selbst wenn die Frage beantwortet werden kann dann oft in unkonsumierbarem Zustand daher.
Genau der Punkt der Aufbereitung ist natürlich für die Verbreitung von seriösen Inhalten via Social Media essenziell: Darüber, wie man auf Facebook die Aufmerksamkeit für eine Reportage aus Syrien generieren kann, wenn man gegen eine Flut aus Partyfotos, Katzenvideos und Trash-Berichte antritt, zerbrechen wir uns bei derStandard.at täglich den Kopf. Manchmal gelingt es, viel öfter scheitern wir kläglich. De Botton liefert aber mit seinen Beispielen und dem Fokus auf die Psychologie des Nachrichtenkonsums gute Ansatzpunkte für den Arbeitsalltag, und das ohne ein einziges Mal „Social Media“, „Traffic“ oder „Google Analytics“ zu erwähnen.
Letzte Woche hatte ich beim Humanitarian Congress in Wien die Ehre, eine Podiumsdiskussion zum Thema Social Media und Humanitäre Hilfe zu moderieren. Mahmoud Shabeeb, Timo Lüge, Ingrid Brodnig und Thomas Seifert gaben Einblick in ihre Expertise. Hier gibt es die gesamte Diskussion zum Nachschauen:
Horizont Online bietet ab jetzt gemeinsam mit Storyclash ein spannendes Ranking über geteilte Medien-Inhalte in sozialen Netzwerken. Erfreulich ist natürlich, dass derStandard.at auf Platz eins liegt. Viel interessanter ist aber das Ranking der Tagespresse, das nicht überrascht, aber schön veranschaulicht, welche Aspekte beim Sharen eine Rolle spielen.
Wie schon Julian Ausserhofer und Axel Maireder in ihrer Sharing-Studie festgestellt haben, teilen User besonders gerne Inhalte, die etwas mit ihnen selbst zu tun haben oder die unverfänglich sind und einen Mehrwert für ihre Community bieten (Eigeninteresse vs. antizipiertes Publikumsinteresse). Der Faktor Humor ist bei der Tagespresse, von der ich ein Riesenfan bin, auf jeden Fall so ein Mehrwert.
Ernste – also schwer “likebare” – Inhalte, wie sie meist auf derStandard.at zu finden sind, haben es da schon schwerer, hier kommt schlicht der Faktor Masse ins Spiel: Die User auf derStandard.at haben eine große Auswahl an Artikeln, die sie teilen können und somit ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie etwas finden, das mit ihnen zu tun hat (seien es Bekannte, die im Artikel vorkommen, das eigene Unternehmen, die Branche, ein Hobby oder ein Spezialgebiet, für das man sich interessiert). Zudem erfreut sich derStandard.at zum Glück eines guten Images, das die User zusätzlich dazu animiert, die Inhalte zu teilen, und ist stark präsent (Faktoren Zufälligkeit und Sichtbarkeit). Ich bin gespannt auf die weiteren Rankings.