Die historische Sperre von Trump auf sozialen Netzwerken wird uns noch länger beschäftigen.
Donald Trumps Smartphone ist auch nicht mehr das, was es mal war. Vor wenigen Tagen noch konnte der Gerade-noch-Präsident mit nur einem Klick auf “Send” hunderte Millionen UserInnen in sozialen Netzwerken erreichen, und das quasi ungefiltert. Twitter hatte zwar schon begonnen, einzelne Tweets als “umstrittene” Inhalte zu kennzeichnen oder zu entfernen, der Sturm aufs Kapitol hat dann endgültig zum Umdenken geführt. Seine Accounts wurden nun also ganz gesperrt. Der Grund? Die Plattformen geben unisono an, dass Gewaltverherrlichung gegen ihre Nutzungsbestimmungen verstößt, hier als Beispiel das offizielle Statement von Twitter. Nach rund 56.000 Tweets und zigtausenden anderen Posts ist Sense. In diesem Text konzentriere ich mich inhaltlich auf Twitter, weil es für Trump das größte Sprachrohr war und beim Sperren Vorreiter war, bevor andere Plattformen nachzogen. Insgesamt sind die Aktionen aber viel weitreichender.
Deplatforming, wie das selektive Sperren von Social-Media-Auftritten auch genannt wird, ist an sich nichts Neues. In Österreich etwa wurden bereits Accounts der Identitären deaktiviert. Donald Trump ist aber ein anderes Kaliber und deshalb gehen die Wogen besonders hoch.
Aus meiner Sicht drängen sich zwei große Fragen auf:
1) Warum jetzt?
Es fragen sich viele, warum Trump erst jetzt gesperrt wurde und nicht etwa schon vor Jahren. Genau das ist eine gute Frage: Denn Trump ist ja nicht binnen weniger Tage zum Aufrührer mutiert. “That escalated steadily over four years” postete Ed Stern und bekam dafür über eine Million Likes. Zugegeben, als er 2009 zu twittern begann, nutzte Trump die Plattform hauptsächlich, um sein Buch oder Fernsehauftritte zu bewerben, sehr bald jedoch gesellten sich Verschwörungstheorien und Beschimpfungen dazu.
Lange Jahre war Trump eines der größten “Testimonials” für Twitter und der Kurznachrichtendienst profitierte mit tagtäglicher Medienpräsenz, die sicherlich auch zahlreiche NutzerInnen anzog. PolitikjournalistInnen konnten es sich kaum erlauben, Trumps Tweets nicht zu verfolgen – zu groß die Gefahr, den nächsten Coup zu verpassen. Trumps polarisierende Posts waren wie gemacht für die Algorithmen der Plattformen. Seine regelmäßigen “Ausrutscher”, also Verstöße gegen die Plattformrichtlinien, wurden lange hingenommen, immerhin handelte es sich ja um den Präsidenten. Jeder andere User wäre schon längst gesperrt worden, und das obwohl die Meinungsfreiheit in den USA kulturell besonders groß geschrieben wird.
Aber wann ist genug? Offensichtlich erst, wenn ein Sturm aufs Kapitol stattfindet und weitere Statements von Trump die öffentliche Sicherheit gefährden können.
Dass Trump nun sein Online-Publikum entzogen wird, ist eine drastische Maßnahme, mit der sich die Plattformen sicher auch ihr ramponiertes Image aufpolieren wollen. An Trump wird ein Exempel statuiert: Schaut her, wir sperren sogar den Präsidenten, wenn er gegen unsere Richtlinien verstößt. Diese Aktion kann jedoch wohl kaum jahrelanges Wegschauen und Nichtstun wieder gutmachen. Und ihn erst jetzt zu sperren ist ein bequemer Weg, als Plattform möglichst wenig Schaden zu nehmen, da man ja jahrelang performancemäßig von Trump profitiert hat.
Bemerkenswert an der Sperre von Trump ist auf jeden Fall der “improvisationshafte Charakter”, wie es Kevin Roose in der New York Times sehr schön beschreibt. Gerne wäre ich dieser Tage eine Fliege in den Twitter-Meetings gewesen, denn es wurden binnen Tagen Entscheidungen getroffen, die es in dieser Größenordnung noch nie gegeben hat. Ich vermute, dass in den nächsten Monaten und Jahren herauskommen wird, dass hier Bauchgefühl auch Willkür große Rollen gespielt haben. Twitter ist sich selbst über den Kopf gewachsen. Die Verbannung Trumps soll die zurückgewonnene Kontrolle signalisieren. In Wirklichkeit zeigt sie aber auch Hilflosigkeit, ein wenig wie bei überforderten LehrerInnen, die unflätige Kinder aus der Klasse schicken. Aus den Augen, aus dem Sinn.
2) Bringt das Ganze was?
Eine der größten Fragen rund um die Sperre ist, ob sie zielführend ist. Längst gibt es speziell für Rechtsextreme mehrere Ausweichplattformen wie Gab oder Parler. Diese sind zwar nicht so groß wie Twitter, Facebook oder Instagram, dafür exklusiver und auch für die Exekutive schwerer zugänglich. Und sogar Parler geht es jetzt an den Kragen. Kleineren extremistischen Stimmen kann so wohl tatsächlich Einflussnahme genommen werden, bei Trump ist das allerdings diskussionswürdig, wie mein Kollege Andreas Proschofsky hier ausgeführt hat. Im Detail wissen wir das noch nicht so genau. Die Auswirkungen von großflächigen Deplatforming-Aktionen werden in den nächsten Monaten und Jahren sicherlich eine der interessantesten Social-Media-Themen sein.
Vergessen sollten wir alle aber auch nicht, dass bei der ganzen Diskussion über die “Übermacht” der sozialen Netzwerke, die in gewissen Bereichen sicherlich ein Riesen-Problem darstellt, immer noch die größte Mehrheit der BürgerInnen gar nicht auf Twitter aktiv ist. Nicht in den USA, und schon gar nicht in Österreich. Die Summe der Auftritte in sozialen Netzwerken und das Wirken von Einzelnen “Influencern” in die Offline-Welt ist aber sicher eine Zutat für möglichen Extremismus. Es ist also kompliziert und Deplatforming allein wird nicht die Lösung sein. In diesem Sinne: Covfefe.