Problemfall Facebook: Zuerst wurde der Plattform die Missgunst der Medien zuteil, weil der Algorithmus für den Newsfeed nun Posts von Freunden priorisiert und jene von Seiten (Marken, (Medien)Unternehmen oder Personen öffentlichen Interesses) benachteiligt. Und nun werden immer mehr Details darüber öffentlich, wie Drittanbieter bis 2014 mit den Daten von Facebook umgehen konnten, ohne dass die User ausreichend darüber informiert waren. Im Zentrum dieser Kritik steht das Unternehmen Cambridge Analytica sowie dessen Tochter SCL, denen vorgeworfen wird, mit den gesammelten Daten sogar Wahlen beeinflusst zu haben. Aber wie weitreichend ist der Skandal wirklich? Ein Überblick über den Status Quo:
Was wir über die Datenverarbeitung von Cambridge Analytica wissen
Christopher Wylie ist der Whistleblower der Stunde. Er arbeitete für Cambridge Analytica und ging vor kurzem an die Öffentlichkeit, um den Userinnen und Usern bewusst zu machen, was mit ihren Facebook-Daten passieren konnte. Von 2007 bis 2014 gab es in der Facebook-API (also der Schnittstelle, die externe Entwickler nützen können) eine Funktion namens „friends permission“. Wenn man eine App wie etwa ein Quiz oder FarmVille benutzte, wurde man dazu aufgefordert, eine oder mehrere Erlaubnisse zu geben: Die App durfte damit über Facebook nicht nur auf Informationen der eigenen Profile, sondern auch auf gewisse Informationen von FreundInnen zugreifen, darunter zum Beispiel deren Profilbild, ihren Namen oder auch, welche Seiten diese geliket haben. Wylie behauptet auch, dass teils sogar der Zugriff auf private Nachrichten durch Apps möglich war, das ist meiner Erinnerung nach aber nur kurz möglich gewesen und nur mit einer eigenen extra Erlaubnis. Mit diesen „friends permissions“ konnten App Entwickler jedenfalls eine Menge Daten sammeln.
Eine verhängnisvolle Quiz-App
Aleksandr Kogan entwickelte für Cambridge Analytica eine besonders perfide App: thisismydigitallife war ein Persönlichkeits-Quiz, bei dem 270.000 UserInnen teilnahmen. Diese gaben so ihr Persönlichkeitsprofil (Hang zu Extrovertiertheit oder Introvertiertheit, zu Neurotizismus, etc.) an das Unternehmen weiter und verknüpft mit der Info von ihrem Facebook-Profil sowie den Netzwerk-Daten ihrer Freunde ergab das eine sehr interessante Mischung für wahlwerbende Parteien oder Politiker. Cambridge Analytica bot den Kunden an, maßgeschneiderte Messages ausspielen zu können, und zwar auf Basis genau dieser Daten, die die User bereit stellten.
Wo ist das Problem?
Das Problem ist, dass die UserInnen keine Ahnung davon hatten, wofür ihre Daten verwendet wurden. Sie gaben zwar explizit die Erlaubnis der Verarbeitung, das Ziel der Verarbeitung war aber nicht bekannt. Insbesondere wird kritisiert, dass die Freunde der User keine explizite Erlaubnis dafür gaben, dass ihre Daten in diverse Apps einfließen. Das ist ein interessanter Streitpunkt, da es sich bei diesen Daten von Freunden wohl meist um öffentliche Daten handelt, also Name, Profilbild, Likes und Freunde (falls diese auf „öffentlich“ gestellt sind) und von jedermann einsehbar waren. Um genau nachvollziehen zu können, auf welche Daten der Freunde der App-Nutzer zugegriffen wurde, müssten detaillierte historische Recherchen über die Facebook-API angestellt werden, was sich zum Teil als schwierig herausstellen könnte.
Der rechtliche Knackpunkt ist aus europäischer Sicht das Speichern der Daten außerhalb von Facebook sowie die kommerzielle Weitergabe an Dritte – im Fall von Cambridge Analytica das Verkaufen der Daten für Werbezwecke in Wahlkämpfen. Das ist das, worauf Christopher Wylie aufmerksam macht, denn die Tatsache, dass Facebook Nutzerdaten für Targeting bereitstellt, ist an sich nichts Neues.
Abgesehen davon erweisen sich Cambridge Analytica sowie deren Tochter SCL durch die aufgedeckten Interviews der Undercover-Journalisten als Unternehmen mit höchst dubiosen Zielen und Vorgangsweisen, die weit über den Missbrauch von Facebook-Daten hinausgehen. So entsteht zurecht ein Nährboden für Angst und weiteren Verschwörungstheorien. Aber bleiben wir mal bei der Verbindung von Cambridge Analytica zu Facebook und deren Auswirkung:
Targeting ist nicht per se schlecht
Jeder Werbetreibende, der spezifische Zielgruppen erreichen will, kann über den Werbeanzeigen-Manager von Facebook gezielt einstellen, welche Werbebotschaften von welchen NutzerInnen gesehen werden. Das mag manchen unheimlich sein, ist derzeit aber noch nicht verboten. Ganz im Gegenteil: Gutes Targeting wird in Werbekreisen sogar gelobt. Das Team von Barack Obama etwa erntete noch Lorbeeren dafür, einen besonders maßgeschneiderten Social-Media-Wahlkampf geführt zu haben und die NutzerInnen genau dort abgeholt zu haben, wo sie waren. David Wilkinson, ein Mitarbeiter von Cambridge Analytica, war auf allen möglichen Podien zu Gast, weil er über „tiefgehende, innovative Analyse von Zielgruppen“ Bescheid weiß, mitunter sprach er sogar 2017 in Wien.
UserInnen beweisen mit ihrem Nutzerverhalten jeden Tag, dass sie Targeting wollen und als praktisch empfinden. „Warum wird mir Werbung für Parship angezeigt, ich bin doch seit Jahren in einer Beziehung!“ „Warum verfolgt mich diese Couch auf jeder Website, ich habe sie doch schon längst gekauft!“ Sätze wie diese höre ich im Bekanntenkreis immer wieder. NutzerInnen geben auch tagtäglich für convenience gerne Erlaubnis zu diversen Datenverarbeitungen. Whatsapp wird intensiv genutzt, Instagram wächst massiv (beide gehören Facebook, nur zur Erinnerung), aber auch Tinder und Co. sind beliebt – auch mit dem Wissen, dass man dort privateste Vorlieben preisgibt. Bei all dem überwiegt der Mehrwert für die NutzerInnen.
Genau diese Targetingmöglichkeiten werden aber auch zurecht kritisiert: Nachdem der Einfluss Russlands auf die US-Wahl 2016 publik wurde und das Thema Fake News riesig geworden ist, schwingt bei Vielen beim Stichwort Targeting vor allem eines mit: Manipulation. Die UserInnen hinterlässt das ratlos: Medien sollen alle manipulieren, PolitikerInnen sollen alle manipulieren und Facebook soll nun auch alle manipulieren. Wem also noch glauben? Diese Unsicherheit ist eine gute Basis für alle, die Sicherheit versprechen. Aber da wird es kompliziert.
Facebook und Targeting eine Gefahr für die Demokratie?
Womit wir auch schon beim schwerwiegendsten Vorwurf dieser Entwicklungen wären: Algorithmen und Targeting gefährden unsere Demokratie und verschärfen das Filterbubble-Problem, so die KritikerInnen. Diese Diskussion ist auch nicht neu, erfährt durch den Cambridge-Analytica-Skandal einen Aufwind. Denn das Böse an Facebook wird in den technischen Möglichkeiten des Targetings, aber auch in dessen laschen Umgang mit den Daten der UserInnen gesehen. In manchen Medien wird Facebook geradezu dämonisiert, besonders der Boulevard hyperventiliert derzeit recht gerne unreflektiert über die „Gefahr Facebook“.
Gekränkte Medien schreiben gegen Facebook an
Nicht selten steckt dahinter wohl eine gekränkte Reaktion auf die jüngste Adaptierung des Newsfeed-Algorithmus und ein Pochen auf das Monopol unter den Meinungsbildnern. So manches Medium wünscht sich wohl die gute, alte Zeit zurück, als die Inserate noch hauptsächlich in der eigenen Tasche landeten und die Meinungsbildung noch großteils über sie stattfand. Da ist die Kritik an selektiven Algorithmen, die man selbst (noch) nicht anbietet, naheliegend. Die Filterbubble-Thematik ist aber nicht schwarz-weiß: Erst jüngst konstatierte eine Oxford-Studie, dass nicht Social Media an der Polarisierung der Gesellschaft schuld habe . Um es mit Ezra Klein zu sagen: “Falls Facebook das Problem ist, wie kann es dann sein, dass dieses Problem (der einseitigen Information; Anm. d. Red.) am deutlichsten bei Menschen auftritt, die Facebook gar nicht nutzen?”
Gleichzeitig darf die Einflussmöglichkeit der getargeteten Facebook-Botschaften an spezifische Zielgruppen auch nicht verharmlost werden. Nicht umsonst fließt sehr sehr viel Werbebudget tagtäglich in diese Kanäle: Sie sind effektiv. Und ExpertInnen beschäftigen sich sehr wohl damit, wie oft ein Nutzer eine Botschaft sehen muss, damit er seine Meinung ändert. Dass durch Facebook-Targeting alleine aber ein ganzer Wahlkampf gewonnen wird, darf bezweifelt werden, das wäre etwas zu kurz gedacht. Hillary Clinton nutzte zum Beispiel auch gezielte Werbemaßnahmen, Ted Cruz vertraute auf Cambridge Analytica und einige Kunden des Unternehmens beklagen, dass ihre Tools nicht ganz so gut funktionieren, wie behauptet wird. Es ist also eine komplexe Problemstellung, vor der wir stehen, wenn wir über Targeting sprechen.
Was also tun?
Das letzte Jahrzehnt war wie so oft bei innovativen Entwicklungen von einer kreativen Aufbruchstimmung begleitet. Die Begeisterung seitens der User und der Werbetreibenden für Facebook und seine Möglichkeiten war sicherlich auch von einer gewissen Naivität begleitet, da nehme ich mich selbst und auch einige KollegInnen nicht aus. Jetzt aber, da „der Feind“ auch genau diese Möglichkeiten nutzt und sie vielleicht sogar besser anwendet als „der Freund“, tritt die Ernüchterungsphase ein. Gewonnen hat dieses Mal also der “Falsche”, nämlich Trump. Dabei zitiere ich gern Twitter-User @kariremarks: “2011: yay, social media can disrupt the political order 2017: shit, social media can disrupt the political order“. Wenn es dann noch zu dreisten Verstößen wie bei Cambridge Analytica kommt, ist die heftige Kritik auf jeden Fall berechtigt.
Wild Wild West adé
Die Zeit des Wilden Westens geht nun also zu Ende, die Frage ist nur, was danach kommt. Die einen wollen verständlicherweise mehr Regulierung von Plattformen wie Facebook, um diese mehr in die Verantwortung nehmen zu können. Über die Jahre wurde Facebook immer mächtiger und die technischen Möglichkeiten vielfältiger, es ist also höchste Zeit, in rechtlichen Fragen nachzuziehen, um UserInnen zu schützen. Die kommende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein Schritt in diese Richtung. Es wird sich zeigen, wie effektiv diese Bemühungen tatsächlich als Schutz für die UserInnen greifen, derzeit zeichnet sich nämlich ab, dass diese einfach noch mehr Zustimmungen zu Datenverarbeitungen geben werden müssen, die sie am Ende erst recht wieder nicht durchblicken. Diese Regulierungen könnten sogar nach hinten losgehen. Plattformen und Medien können auf die Idee kommen „Ach, holen wir uns gleich noch mehr Einwilligungen der User, sie müssen eh akzeptieren“ und sich so noch mehr Berechtigungen holen.
Media Literacy
Die oft geforderte Förderung der Media Literacy, also des Verständnisses, wie diese Plattformen und Medien sowie Algorithmen funktionieren, gehört auch zu einem sinnvollen Paket, um Datenmissbrauch vorzubeugen. Wenn wir nicht verstehen, was uns kontrolliert und wie das passiert, können wir dem schlecht entgegenwirken.
#deletefacebook ist Augenauswischerei
Facebook zu dämonisieren wird uns jedenfalls nicht weiterbringen. #deletefacebook und andere Aktionen rühren meist von Personen, die sich sowieso schon dort langweilen und keinen Nutzen mehr in der Plattform sehen oder die sich eher oberflächlich mit Aktionismus beschäftigen. Das ist zwar durchaus legitim und den Account zu löschen wird einigen auch Seelenfrieden bescheren. Dennoch würde selbst ein Abwandern der UserInnen von Facebook wohl lediglich das Erstarken eines anderen Netzwerkes oder einer Plattform dienen, die sich ähnlicher Systematiken bedient. Man denke nur an Voice-Lösungen wie Amazon Echo und Co., die derzeit als Megatrend gelten.
Um das Datenmissbrauch zu verhindern, braucht es jedenfalls tiefgehende, langfristige Lösungen. Dahingehend könnten wir durch die Aufdeckungen der Skandale zumindest bei der Bewusstseinsbildung am Anfang einer fundamentalen Änderung stehen. Dabei spielen die einzelnen UserInnen selbst eine große Rolle, denn sie sind es, die wohl das eine oder andere Mal convenience gegen Datenschutz tauschen werden müssen oder Dinge öfter kritisch hinterfragen werden müssen. Gemeinsam mit gesetzlichen Änderungen könnten hier Maßnahmen greifen. Wenn dann auch noch Facebook selbst mehr Verantwortung übernimmt, aktiver in der Kommunikation wird und nicht Tage nach dem Aufkommen von Skandalen beschwichtigende Statements abgibt oder halbherzige Aktionen für mehr Media Literacy einführt, dann wären wir auch einen wesentlichen Schritt weiter.
Was bedeutet das für Medien?
Aus Mediensicht hat insbesondere in Österreich Skepsis gegenüber Facebook und Co. Tradition. Kaum jemand ist bei Instant Articles auf den Trend aufgesprungen, die Einbindung von Trackern wird (zumindest beim STANDARD) nicht leichtfertig gehandhabt (kurze Werbeeinschaltung für “derStandard.at pur” ohne Werbung und Tracking) und es gibt im deutschsprachigen Raum mit Aktionen wie dem Leistungsschutzrecht eine starke Lobby. Tragischkomisch sind diese Skepsis und das Pochen auf Datenschutz mitunter Gründe dafür, warum heimische soziale Netzwerke nie erfolgreich wurden, das kann man in Judith Denkmayrs Analyse gut nachlesen. Als Distributionskanal ist Facebook aber immer noch ein wesentlicher Bestandteil, um UserInnen zu erreichen und bewusst und kompetent damit umzugehen ist für Medien weiterhin wichtig. Ob das in Zukunft noch auf Facebook passieren wird, ist nicht in Stein gemeißelt, das Wissen um die Funktionalitäten der diversen Plattformen und ein sachliches Handling der externen Traffic-Quellen ist aber unumgänglich.
In Summe müssten also alle Teilhaber an einem Strang ziehen: Plattformen wie Facebook bräuchten den Willen zu mehr Verantwortung und Änderung, die Gesetzgeber müssten wirksame Regulationen (weiter)entwickeln, Medien müssten einerseits kritisch Bericht erstatten und andererseits selbst transparent agieren, Werbetreibende bräuchten ethische Standards, an die sie sich auch halten und UserInnen sollten kritischen Medienkonsum erlernen.